Ian Alexander’s COMING HOME
Ian Alexander lebt seit seiner Kindheit zwischen zwei Welten. Der Sohn eines Engländers und einer Amerikanerin, und aufgewachsen in Deutschland, navigiert er schon lange in den Zwischenräumen und Reibungsflächen zweier Kulturen.
„In Deutschland galt ich unter meinen Freunden immer als der Engländer oder der Ami – doch ironischerweise betrachteten uns unsere Familie in Amerika als die Deutschen. Wo ich auch hinging, fiel mein Verhalten auf. Ich wurde stets daran erinnert, nicht vollständig „einer von ihnen“ zu sein; nicht beheimatet zu sein. Dadurch lernte ich recht früh, wie ein Chamäleon die unterschiedlichen Erwartungen und Gepflogenheiten der Kulturen je nach Bedarf anzunehmen oder abzulegen.“
Diese Lebenserfahrungen brachten Ian dazu, sich intensiv mit dem Zusammenhang von Sprache und Kultur zu beschäftigen. Inzwischen hat er eine erfüllende Nebenberufung als Sprach-Coach für Sänger gefunden:
„Jeder Mensch möchte gehört werden, verstanden werden, respektiert werden. Wenn das durch die Sprachbarriere nicht geschehen kann, ist das für mich wie eine kleine Tragödie. Missverständnisse sind der Ursprung jeden Konfliktes, und Missverständnisse zwischen Menschen unterschiedlicher Kultur sind quasi vorprogrammiert.“
Als Heimat definiert Ian den Ort, wo wir von unseren Mitmenschen verstanden werden und unseren Platz in der Gesellschaft finden können. Doch je mehr Immigration geschieht, und je mehr unsere Kommunikation durch das Internet beschleunigt wird, desto mehr Reibungsflächen und Begegnungen zwischen kulturellen Welten werden natürlich auftreten. Strategien zu finden, diese Gegensätzlichkeiten zu überbrücken und harmonisch zu vereinen; „das ist es, was mich schon mein ganzes Leben antreibt.“
Seine wahre Liebe gilt allerdings der Musik. Seit seinem achten Lebensjahr widmet er sich der Kunst der Gitarre, und steht seit seiner Studienzeit an der Hochschule für Musik und Tanz Köln mittlerweile regelmäßig auf Bühnen in ganz Deutschland als Bandleader und als Sideman in diversen Konstellationen.
Musikalisch bewegt er sich ebenfalls zwischen zwei großen Welten – auf der einen Seite das große Erbe der Klassik und ihrer großartigen Kompositionsgeschichte – auf der anderen Seite der Jazz, mit seiner zeitgemäßen Lebendigkeit und Improvisationsfähigkeit. „Ich passte musikalisch eigentlich noch nie in die eine oder andere Gruppe – bei den Klassikern fühlte ich mich zu eingeengt, und den Rockern war ich zu diszipliniert und seriös.“
Irgendwann kam der Punkt in seiner Laufbahn, wo er sich laut Musiklehrer zwischen der klassischen Gitarre und der E-Gitarre entscheiden musste, da der technische Anspruch bei beiden hoch, aber der stilistische Ansatz so verschieden sei. Man könne ja schließlich nicht zwei Herren dienen. „Dieses Ultimatum erschien mir damals so widersinnig. Das andere gehörte immer zu einem viel zu großen Teil zu mir, als das ich es je aufgeben könnte. Daher bin ich einfach weiter meiner Intuition gefolgt, und habe beide Instrumente parallel gespielt und verfeinert.“
Nach mittlerweile 23 Jahren am Instrument hat Ian einen sehr eigenen Ansatz für sein Gitarrenspiel gefunden – er spielt sowohl auf einer elektrisch verstärkten Konzertgitarre Jazz-improvisatorisch, als auch auf einer E-Gitarre, die er aber mit einer hybriden, klassisch geprägten Zupftechnik spielt. Dadurch eröffnen sich einzigartige Klangwelten und Ausdrucksmöglichkeiten. „Das Interessante, Spannende passiert immer in der Begegnung zwischen den Welten. Ansonsten würde nichts wachsen, nichts neues entstehen. Nur dadurch, dass ich diese vermeintlichen Widersprüche zuließ, konnte ich überhaupt einen Stil finden, der wirklich authentisch zu mir passt.“
Diese Philosophie verfolgt Ian auch in seinem Projekt Coming Home. Hier wird in zweierlei Hinsicht eine Fusion kreiert, zunächst offensichtlich: ein klassisches Streichensemble spielt mit einer improvisierenden Jazz-Combo. Doch auch Ian’s Musik strebt in sich selbst nach einer Fusion der Philosophien: „Obwohl die Musik sehr strukturiert ist, versuche ich trotzdem in meinen Kompositionen stets eine Art organischen Fluss darzustellen. Auf der anderen Seite lasse ich Stellen offen, in denen die Jazz-Musiker improvisieren können. Doch die Improvisationen sollen immer Struktur und der ganzheitlichen Intention des Stückes dienen.“
Doch diese Balance ist sehr empfindlich. Sehr schnell kann aus einem freiwilligen, spielerischen Dialog ein abgekartetes, kontrolliertes Exerzieren werden. „Damit beide Seiten brillieren können, bedarf es einer gegenseitigen, wahrhaftigen Wertschätzung. Ich liebe sowohl die Klassik als auch den Jazz, und daher möchte ich beide ins bestmögliche Licht rücken.” Genau diese Wertschätzung wünscht sich Ian seit geraumer Zeit in den alltäglichen Momenten kultureller Begegnung. Doch ist das ein erreichbares Ideal?
Coming Home ist ein Erforschen und Suchen nach der eigenen musikalischen Heimat. „Vermutlich werde ich wohl niemals ganz „ankommen“ – denn irgendwann wird man von der Außenwelt immer vor den Kopf gestoßen. In Wirklichkeit ist niemand in irgendeinem Land, irgendeiner Kultur, oder irgendeiner Stilrichtung zu 100 Prozent beheimatet. Das Einzige, was mir übrig bleibt, ist die innere Heimat in der Akzeptanz und Wertschätzung meiner Selbst zu finden. Danach kann mich nicht mehr so viel erschüttern, und ich bin in der Lage, jeden anderen Menschen als einsamen Reisenden wahrzunehmen, der sich selber nur nach Akzeptanz und Verständnis seiner inneren Welt sehnt. Gebe ich ihm dies, schenke ich ihm damit womöglich das Gefühl von Heimkehren nach einer langen Reise.“
-Ian Alexander